top of page

Annabelle-Matilda 3c

Der Vollmond schien matt auf eine schmale Gasse der Oak Street. Über dem steinalten Antiquitätengeschäft in der Ladenzeile flimmerte und surrte eine Leuchtreklame. „Klingeling“ machte es als die Tür knarzend geöffnet wurde. Ein kleines Mädchen im gelben Regenmantel trat mit ihrem Vater ein. Die Eigentümerin die mindestens genauso alt war wie die Antiquitäten in den Regalen musterte sie skeptisch mit ihrem verbleibenden Auge. „Was sucht ihr hier?“, krächzte sie unfreundlich. „Mein Vater will mir diese Puppe da in der Vitrine kaufen“, meinte das Kind bestimmt und zeigte mit ihren dünnen Fingern in Richtung einer beleuchteten Glaskammer, in der ein Mädchen mit goldenen Engelslocken und einem rosa Rüschenkleid saß. „Die Tick-Tack Puppe ist unverkäuflich!“, erwiderte die buckelige Dame schnell. Das Kind blickte empört in Richtung ihres Vaters. „Du hast die Frau gehört June, du kannst die Puppe nicht haben“, meinte er. „Aber ich will sie, ich will sie, ich will sie!“, schrie das Mädchen durch den ganzen Laden. Die Verkäuferin seufzte und gab schließlich nach. Doch bevor die krüppelige Dame June die Puppe mit ihren knochigen Fingern überreichte, meinte sie streng: „Du musst mir versprechen, dass du sie jeden Abend, bevor du ins Bett gehst in einen Schrank einsperrst, hörst du?“ Das Mädchen blickte sie irritiert an, versprach es dann aber. Zuhause angekommen spielte June schon eifrig mit ihrem neuen Spielzeug, bis es Zeit war ins Bett zugehen. „Ab sofort werde ich dich Annabelle nennen“, meinte das Mädchen, bevor sie die Puppe in den hölzernen Schrank einsperrte. Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatte, kroch sie auch schon unter ihre Bettdecke und schlief friedlich bis zum nächsten Morgen. Als June gähnend die Puppe aus dem Schrank holen wollte, saß Annabelle nicht mehr dort, wo sie sie am Abend platziert hatte, sondern lag mit dem Gesicht voran an der Tür. „Komisch, vielleicht hat Papa gestern Abendabend noch mit ihr gespielt“, dachte sich das Mädchen machte sich aber keine weiteren Gedanken darüber und legte die Puppe auf einen roten Samtstuhl. „Komm steig ins Auto June wir müssen los zur Schule!“, rief ihr Vater. Die Räder kamen ins Rollen und die beiden fuhren los. Spät abends kam June wieder Heim und fläzte sich aufs Sofa erschöpft von ihrem Tag. Während sie sich ihre Lieblingssendung ansah, bereitete ihre Mutter das Abendessen vor. Nachdem alle gesättigt waren, bürstete June Annabelle ihre goldenen Locken und legte sie wieder in den Schrank hinein. Ihr Vater begleitete sie die knarzenden Stiegen hinauf in ihr Zimmer und knipste das Licht aus. „Schlaf schön, meine kleine Schnecke“, flüsterte er ihr ins Ohr und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Als ihr Vater die Tür vorsichtig schloss, überlegte June nochmal, ob sie wirklich den Schrank zugesperrt hatte, war aber zu müde, um nachzusehen. „Ist ja nicht so wichtig“, dachte sie schläfrig und dann fielen ihr auch schon die Augenlieder zu. Mitten in der Nacht wurde sie von einem leisen, kaum hörbaren „Tick-Tack“ aus ihrem Schlaf gerissen. Sie schreckte hoch. „Tick-Tack ich bin in deinem Schrank“, war es aus dem Wohnzimmer zuhören. Auf einmal vernahm June ein Quietschen. „Tick-Tack ich bin aus deinem Schrank draußen“, sang eine nun deutlichere Stimme. „Tick-Tack ich bin auf der Treppe“, die Stimme wurde lauter: „Tick-Tack ich bin vor deiner Tür.“ June lief es eiskalt über den Rücken. „Annabelle?“ fragte sie mit zittriger Stimme. Niemand antwortete. Es war nur ein lautes „Tick-Tack“ zu hören. Auf einmal öffnete sich die Tür nur für einen klitzekleinen Spalt weit. June schrie aus Leibeskräften. Ihre Eltern schreckten hoch und liefen sofort in ihr Zimmer, doch es war bereits zu spät: June lag bleich und mit blutverschmiertem Gesicht am Boden ihres Zimmers und rührte sich nicht mehr. Ihre Eltern konnten es nicht fassen, fingen an zu schluchzen, bis sie auf einmal Inne hielten, als sie ein leises „Tick-Tack“ hinter ihnen vernahmen…

 
 
 

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Tokio - Dafne

Tokio – ganz anders als Wien! Ich war noch nie in Tokio – aber allein beim Gedanken an diese riesige, leuchtende Stadt bekomme ich...

 
 
 

Kommentare


Beitrag: Blog2_Post
  • Instagram

©2021 Meitnerpost. Erstellt mit Wix.com

bottom of page